Written by Nachdenkliches

Land ohne Flagge

Als ich vor ein paar Jahren bei einem Besuch in Eilat, Israel, ein tiefgreifendes Gespräch mit meinem AirBnB-Vermieter führte – einem intelligenten, aus London zugezogenen älteren Juden, der es sogar mit seiner Frau auf´s TIME Magazin geschafft hatte, erlebte ich Unerwartetes. Nach einer offenen Aussprache über die Länderbeziehung Deutschland-Israel sagte er mir folgendes: „Wisst ihr, was euer Problem in Deutschland ist?“ Er ließ mich erst gar nicht zu Wort kommen. „Ihr wisst nicht, wer ihr seid. Eurem Land fehlt einfach Identität.“ Man beachte: ein waschechter Jude verwies uns Deutschen darauf, wieder darüber nachzudenken, was unser Land eigentlich auszeichnet und einzigartig macht. Zu Goethes und Schillers Zeiten wusste man das noch. Doch das ist lange her.

In unserer Gegenwart, in der vom Wilden Westen her die Ausrufe „America first“ klar und deutlich zu vernehmen sind, sollten wir uns erst recht diese Frage erneut stellen: Wer sind wir? Was zeichnet unser Land aus?

Als ich dieses Jahr zur Fußball Euro eine deutsche Flagge an unserem Auto anbrachte, um unser Team visuell zu unterstützen, überkam mich tagsdrauf ein ungutes Gefühl: kaum ein anderes Auto in unserer Gegend tat es unserem gleich und in den Medien wurde wie gewohnt gefühlt fast jede deutsche Flagge wie selbstverständlich mit dem Schild „Nazi“ versehen und als unpassend vorgeführt. Scheinbar darf und soll unser Land keine Flagge zeigen. Wo bleibt das so nötige Gefühl, ganz frisch und fromm auf sein schönes Land stolz zu sein und sich darüber ungehindert zu freuen, wozu man gehört und wo man wohnt? Wie lange ist es her, dass in Deutschland ein kleinwüchsiger Österreicher mit nicht-blauen Augen und nicht-blonden Haaren auftrat und in der Welt so viel tiefen Unfrieden stiftete? Es ist doch mittlerweile schon eine wirklich sehr lange Zeit. Es hilft auch nicht, darauf zu verweisen, dass die jetzige, besonders östlich wohnhafte, Generation wieder eine Braunfärbung in ihrem Denken aufweist. Noch weniger, wenn man auch hier wieder alles, was nach gesunder Identität, angemessener Nationalität und dem schönen Gefühl eines eigenen Landes mit eigenen Werten ruft, sofort mit der Nazi-Flagge versieht. Nach meiner Beobachtung wird in den öffentlichen Medien kaum getrennt zwischen angemessener Nationalität und Nationalsozialismus. Das 2024 erschienene Buch „Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung“ von Prof. Dirk Oschmann macht das diesjährig weiter sehr offensichtlich. Beständig drängt sich mir das Gefühl auf, dass gewisse Kräfte nicht wollen, dass dieses Land wieder auf die Beine kommt und von innen her gesund wird.

Da passt es genau ins Bild, wenn ich auf meiner KI-gesteuerten Fotobearbeitungsapp (gehostet von Google, es handelt sich um die Proversion von „Magic Eraser“) das Bild eines kleinen Jungen mit einer Deutschlandfahne in der Hand überarbeiten lasse und am Ende ein strahlender Junge abgebildet wird, der zwar noch den Rest eines Flaggenstiels in der Hand trägt – doch ohne Flagge. Die App retuschiert auch von einem Bild des Deutschen Bundestags wie ganz selbstverständlich die deutsche Flagge heraus. In einer anderen Einstellung der App wird aus einem weiteren Jungen mit deutscher Flagge ein Kind mit amerikanischem T-Shirt, umgeben von mehreren US-Flaggen. Es fehlt nur noch der schräg überdruckende Bildtitel: „America first.“ Das alles sollte uns gerade im Jahr 2025 nachdenklich stimmen.