4 Das Pferd, das nicht fliegen wollte.
Als ich einmal im Wald spazieren ging, begegnete mir eine Vielzahl an Menschen. Sie gingen an mir vorbei, als wäre ich Luft. Das Wetter war hervorragend und sie hatten sich wohl an einem nahegelegenen See vergnügt. Trotz ihrer Freude an der Erholung hatten sie aber leider nur sich selbst im Sinn. Sie sahen nur ihr eigenes Leben, ihre eigene Nase vor dem Gesicht. Damals war das so eine Zeit, in der das fast jeder so machte. Als ich mich recht enttäuscht wieder auf den Heimweg machen wollte, kam ein weißes Pferd auf mich zu und sprach mich an. Du musst dir vorstellen: ein Pferd! Kein Mensch! Es hatte schöne, klare Augen und redete, wie wenn es nichts Normaleres gäbe, als sich mit einem Menschen zu unterhalten. Plötzlich gesellte sich noch ein recht junges Mädchen zu uns und unterhielt sich ebenfalls ganz selbstverständlich mit uns, als wären wir drei schon lange beste Freunde. Es trug einen schönen Anhänger aus Olivenholz am Lederband um ihren Hals. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie. Ich hörte mich umgehend sagen: „Lasst uns eine Runde fliegen!“ Noch im selben Moment wunderte ich mich über diese seltsamen Worte, die so selbstverständlich aus meinem Mund kamen. Ich spürte, dass meine Arme zu Flügeln wurden. Das Mädchen war erfreut: „Ok. Sehr gerne! Wo soll es hingehen?“ „Wie wäre es nach Lavendula? Zur duftenden Blumenwiese?“, kam mein Vorschlag schneller, als mein Kopf denken konnte. „Ich möchte aber nicht fliegen!“, sagte das Pferd. „Nur Kinder können fliegen.“ „Eben!“, antwortete sie. „Wir sind doch alle Kinder. Solange wir das nicht vergessen, können wir überall hinfliegen, wohin wir wollen.“ Doch das Pferd blieb stur. Von diesem Moment an sprach es keine weiteren Menschen mehr an und blieb an einem nahegelegenen Baum wie verwurzelt und angebunden zurück. Wir trafen noch etliche Menschen, die mit uns ins Gespräch kamen. Alte und junge Männer und Frauen, die ihre Kindheit in sich wiederentdeckt hatten. Mit ihnen zusammen flogen wir, wohin wir wollten: zu kristallklaren Bergseen. Zu den Weltmeeren. Ins Universum. Zu traumhaften Blumenwiesen. Und zu Orten, die niemand aussprechen oder beschreiben kann. Nur Kinder können das.